Die Wittenberg- Connection (Teil 1)
2017 findet die Lutherdekade mit dem 500. Jahrestag des Thesenanschlages in Wittenberg ihren Höhepunkt. Zahlreiche Ausstellungen zur Person und zum Wirken Martin Luthers werden das Jubiläumsjahr begleiten.
Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die Reformation, die im Thesenanschlag ihren publikumswirksamen Auslöser hatte, nicht nur von der Person Martin Luthers getragen wurde. Im seinem Umkreis bewegten sich Menschen, die im ständigen Dialog und gedanklichen Austausch mit ihm, nicht unwesentlich die Zielrichtung der Reformation beeinflusst haben. Die Rede ist hier von Lucas Cranach d. Ä., Philipp Melanchton, Johannes Bugenhagen und Georg Spalatin. Mit ihnen beschäftigen sich dieser und die folgenden Beiträge.
Aus Kronacher Sicht ist natürlich die Person Lucas Cranach d. Ä. und sein Anteil an der Reformation von Interesse. Seine Teilhabe ergab sich zum einen aus der guten Vernetzung mit der Familie Luther und zum anderen aufgrund seines ausgeprägten Geschäftssinns. Er verstand es zudem seine künstlerischen Fähigkeiten geschickt mit den damaligen technischen Möglichkeiten des innovativen Buchdrucks zu verbinden. Vergleichbar ist diese Konstellation mit den heutigen Möglichkeiten der sozialen Medien, deren geschickte Anwendung, denjenigen publizistischen Erfolg garantiert, der sie für seine Sache gekonnt anzuwenden vermag. Diese Chance wusste Lucas Cranach d. Ä. zu seiner Zeit zu nutzen, als er seine Malerwerkstatt im Jahre 1522 um eine Druckerei erweiterte.
In Wittenberg war 1512 nur eine einzige Druckerpresse in Betrieb, deren Besitzer Johann Rhau-Grunenberg vornehmlich für die Universität arbeitete. 1516 ließ Martin Luther eine seiner ersten Schriften „Eyn deutsch Theologia“ bei Rhau-Grunenberg drucken. Die Zusammenarbeit währte offenbar nicht lange, denn bald vergab Luther seine Druckaufträge nach Leipzig. 1518 veröffentlichte er seine 95 Thesen in einer deutschsprachigen Zusammenfassung: „Sermon von Ablass und Gnade“. Diese Schrift wurde ein Bestseller und erschien in mehreren Auflagen. Innerhalb eines Jahres wurde Martin Luther zum meist veröffentlichten Autor im deutschsprachigen Raum. Er selbst schwärmte von den „hohen Wohltaten der Druckerei“. Heute würde man Luther als „Medienprofi“ bezeichnen, denn er achtete darauf, dass seine Drucke nicht zu lang wurden und nicht die ausufernde Langatmigkeit von Gelehrtenschriften aufwiesen. Bilder spielten zum Verständnis von Botschaften zu damaligen Zeit, in der die wenigsten Menschen lesen konnten, eine wesentliche Rolle. Dadurch kam Lucas Cranach d. Ä. mit ins reformatorische Boot.
Cranach arbeitet bereits seit 1505 für den Hof in Kursachsen. Seine künstlerischen Arbeiten im Auftrag der Adeligen und des Klerus verschafften ihm ein ansehnliches Einkommen, so dass er 1517/18 ein Gebäudeensemble in Wittenberg, Schlossstraße 1, kaufen konnte, das heute unter dem Namen „Cranach-Höfe“ bekannt ist. Vorher hatte er schon ein Gebäude „Am Markt 4“ erworben, das er für die Finanzierung der Gebäude in der Schlossstraße verkaufte. Später erwarb er das Gebäude wieder, um dort mit seinem Geschäftspartner Christian Döring 1522 eine Druckerei einzurichten. Luther der vornehmlich in Leipzig seine Schriften drucken ließ, konnte nach dem Wormser Edikt 1521 dort nicht mehr drucken lassen. Deshalb holte er seinen Drucker Döring nach Wittenberg und ließ ihn mit Cranach kooperieren. Jetzt konnte auch Cranach im großen Stil in das Verlagsgeschäft einsteigen. Da kam der erste Großauftrag, die Übersetzung des Neuen Testaments („Septembertestament“), gerade recht. 3000 Exemplare wurden gedruckt, eine für damalige Zeiten riesige Auflage. Und sie war schnell vergriffen, so dass bald eine zweite Auflage („Dezembertestament“) folgen musste.
Zeitgleich mit dem Bibeldruck stieg die Nachfrage nach reformatorischen Schriften. Bis 1525 wurden schätzungsweise über 250 Flugschriften mit einer Gesamtauflage von 2 Millionen Stück gedruckt. Für Cranach sicherlich ein lohnendes Geschäft. Der Zeitpunkt für den Einstieg ins Druckgewerbe war also mit Bedacht und Weitsicht gewählt.
Aber nicht nur Cranach profitierte von den gedruckten Schriften Luthers. In Wittenberg ließen sich nach und nach sechs weitere Drucker nieder, die zwischen 1517 und 1546 drei Millionen Bücher verlegten. Auch über Wittenberg hinaus florierte das neue Druckwesen. In allen größeren Städten Deutschland wurden Luthers Werke und Schriften ohne Rücksicht auf Urheberrechte nachgedruckt. Von den Raubkopien rentierten viele und dort, wo es verboten war, Reformatorisches zu veröffentlichen, litten die Druckereien unter schlechten Geschäften.
Lucas Cranach d. Ä. wusste sich auf die sozio-ökonomischen Entwicklungen seiner Zeit mit seiner Geschäftspolitik geschickt einzustellen. Er saß gewissermaßen am Ursprung der gesellschaftlichen Brüche, die wie vom Pflug gezogene Furchen, das Denken der im Mittelalter verharrten katholischen Kirche umpflügte. Cranach verstand es hervorragend, seine grafische Begabung in den Dienst einer Sache zu stellen, die ohne ihn bei Weitem nicht diese Durchschlagskraft in einer breiten Öffentlichkeit erreicht hätte. Er vergaß aber auch nicht seine alte Klientel aus dem katholischen Lager weiterhin mit gefälligen Kunstwerken zu bedienen. So stellte er seine Dienste Kardinal Albrecht von Brandenburg zur Verfügung und malte für ihn um 1525 einen aufwändigen Altarzyklus für dessen neue Stiftskirche in Halle. Kardinal Albrecht wiederum war einer der Gegenspieler Martin Luthers und Unterstützer des Ablasshandels. Der musste er sein, denn er hatte sich, um die Ämter des Erzbischofs von Magdeburg, Halberstadt(1513) und Mainz (1514) zu erhalten, hoch verschuldet. Als Papst Leo X im Jahr 1517 einen neuen Ablass verkündete, beauftrage Albrecht den Magdeburger Dominikaner Johann Tetzel, den Ablass in seinen Bistümern zu verkaufen. Für den Kardinal ein lohnendes Geschäft, denn er durfte die Hälfte der Einnahmen selbst behalten.
Lucas Cranach d. Ä., ein Geschäftsmann ohne moralischen Anspruch? Eine Person mit ausgeprägtem Geschäftssinn war er auf jeden Fall, den er nicht nur zur produktiven Organisation seiner Malerwerkstatt einsetzte, sondern auch nutzte, um neue Geschäftsfelder erfolgreich zu erschließen. Neben der Druckerei und einer Papiermühle erwarb er 1520 das Apothekenprivileg und handelte, wie es damals üblich war, mit Sandstein, Papier, Farben, Zucker, Wachs, Gewürzen und Wein. Kein Wunder, dass er schnell mit zu den reichsten Bürgern Wittenbergs zählte … und zu den einflussreichsten. Denn er verstand es auch auf politischem Felde eine gewichtige Rolle zu spielen. Als Ratsherr, Bürgermeister und Kämmerer konnte er zwischen 1519 und 1535 mit kurzzeitigen Unterbrechungen die Geschicke Wittenbergs lenken.
Der geschäftlichen Kooperation von Cranach und Luther lag sicherlich eine tiefe persönliche Freundschaft zugrunde. Aber wann begann diese Freundschaft? Ein historisch genaues Datum lässt sich hier nicht festmachen. Der „legendären Männerfreundschaft“ lässt sich nur aufgrund von Indizien nähern. Drei Jahre nach dem Thesenanschlag entstand das erste Bildnis Luthers von Cranachs Hand: Luther mit Buch vor einer Nische. Der erste Kontakt mit Martin Luther? Im selben Jahr fungierte Luther bereits als Taufpate Annas, dem jüngsten Kind von Cranach. Die Vertrauensstellung eines „Gevatters“ lässt daher schon eine länger währende persönliche Beziehung vermuten. Wenn man annimmt, dass Lucas Cranach und seine Familie ihren sonntäglichen Pflichten des Gottesdienstbesuches nachkamen, dann wird der Prediger Martin Luther auch Lucas Cranach bekannt gewesen sein. Spätestens 1517 mit der Verkündung der 95 Thesen und den sich daraus ergebenden Folgen wird Martin Luther auch das unternehmerische Interesse Cranachs geweckt haben. Ob Cranach da bereits zu den „Freunden“ gehörte, die vorab vom Inhalt der Thesen informiert waren? Sicherlich waren die Thesen auch Diskussionsgegenstand in den „gehobenen gesellschaftlichen Kreisen“ Wittenbergs. Dazu wird auch Martin Luther spätestens 1512 gehört haben, als ihm der Lehrstuhl der „Lectura in Biblia“ (Bibelauslegung)an der Universität Wittenberg anvertraut wurde. In diesem Zeitraum 1512 bis 1517 könnte es zu einer intensiveren Begegnung dieser beiden Männer gekommen sein.
Die Begegnung und Zusammenarbeit von Lucas Cranach d. Ä. und Martin Luther hat vor 500 Jahren eine Entwicklung eingeleitet, mit weitreichenden politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen bis in die Gegenwart hinein. Dazu gehört auch die als „Glaubensspaltung“ bekannte Trennung in katholische und evangelische Christen. Eventuell liefert ja das Lutherjahr den Anlass, die nach wie vor bestehenden Differenzen zwischen beiden Glaubensgruppen zu minimieren oder gar zu überwinden. Die erfolgreiche Kooperation von Luther und Cranach könnte dafür ein historisches Vorbild liefern.
Hans Götz, 29.11.2016