„Der Fränkische Tag führte anlässlich der Kooperations-Veranstaltung des Vereins „1000-Jahre-Kronach-eV“ und dem Freundeskreis der Akademie Tutzing zum bevorstehenden Vortrag Hexenverfolgung ein Inteview mit Kai Lehmann, Direktor der Museen im Zweckverband Kultur des Landkreises Schmalkalden-Meiningen, durch.

Hexenverbrennungen stellen ein dunkles Kapitel unserer Geschichte dar.Der Historiker Kai Lehmann will das Bewusstsein für dieses Unrecht auch in Kronach schärfen.

Frauen mit krummen Nasen auf fliegenden Besen. Schwarze Katzen als Unglücksboten. Die Kirche als treibende Kraft einer Hetzjagd. Kaum ein Kapitel der deutschen Geschichte ist derart mit Klischees behaftet wie die Hexenverfolgung. Damit möchte der promovierte Historiker Kai Lehmann aufräumen. Am heutigen Dienstag wird er in einem Vortrag als Gast des Vereins „1000 Jahre Kronach“ in der Cranach-Stadt seine Zuhörer aus verschiedenen Blickwinkeln mit diesem heiklen Thema konfrontieren.

Mit welchem Themenbereich werden Sie sich in Kronach konkret beschäftigen?

Kai Lehmann: Ich werde über die Hexenverfolgung in protestantischen Gebieten sprechen. Ich werde natürlich auch Zahlen und Orte zum Thema aus der Region der Zuhörer nennen. Zu meinem Gastspiel in Kronach bin ich übrigens gekommen, als ich in Coburg einen Vortrag gehalten habe, bei dem offenbar auch Kronacher waren. Daraufhin wurde ich angesprochen.

Wie kommt man dazu, sich mit dem Thema „Hexenverfolgung“ auseinanderzusetzen?

Als Sozialhistoriker habe ich mich auf das Leben der einfachen Menschen im 16. bis 18. Jahrhundert spezialisiert. Da wird man zwangsläufig mit dem Thema „Hexenverfolgung“ konfrontiert. Mit dem Fernsehsender Pro 7 habe ich sogar ein „Galileo spezial“ hierzu gedreht. Dafür sind wir quer durch die Mitte Europas gereist.

Wie gehen die Menschen mit diesem Teil unserer Vergangenheit um?

Es ist eines der dunkelsten Kapitel, aber die meisten Klischees und Halbwahrheiten liegen darauf. Ich erinnere mich zum Beispielr an eine Veranstaltung in der Nähe von Meiningen, die von 200, 300 Zuhörern besucht wurde. Damals hatten einige Leute Hexenkostüme an – die hatten das wirklich gut gemeint –, doch glücklicherweise haben sie diese nach ein paar Minuten abgelegt.

Mit welchen falschen Vorstellungen wollen Sie bei Ihren Vorträgen aufräumen?

Man muss endlich die Klischees von wegen Mittelalter – das hat damit gar nichts zu tun – und Kirche aus den Köpfen bringen. Die Kirche war natürlich mit dem Thema verknüpft, aber in protestantischen Gebieten, wo wir rein weltliche Regierungen hatten, war es ja mindestens genauso schlimm wie in katholischen, zumindest was das heutige Südthüringen und den Coburger Raumangeht. Ganze Gesellschaftsschichten waren mit dem Wahn infiziert.

Wie kann ein Sozialhistoriker die Menschen für die wahre Geschichte dieser Zeit sensibilisieren?

Ein Historiker muss versuchen, die Gedanken der Leute in die Köpfe der Menschen des 16. Jahrhunderts zu stecken. Ich hoffe, dass es mir so gelingt, den Zuhörern die Geschehnisse richtig vor Augen zu führen. Ich schildere die Ereignisse aus der Opfersicht, aber auch aus der Tätersicht. Und ich versuche, bei meinen Nachforschungen Namen zu finden, Namen, Namen, Namen. Eine Zahl ist etwas Abstraktes. Ein Name transportiert vielmehr.

Warum legen Sie so viel Wert darauf, auch die Perspektive der Täter zu zeigen?

Für die Menschen damals war das Ganze Gesetz. Es stand sozusagen im „BGB“ dieser Zeit. Und wenn eine Frau damals unter Folter gestand, aus Gehässigkeit 60 Schweine im Dorf verhext und getötet zu haben, dann wissen wir heute, dass es in Wirklichkeit wohl eine Art Schweinepest war. Aber woher sollten das die Menschen von damals wissen. Es kam für sie aus heiterem Himmel, und sie suchten dafür eine Erklärung

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Waren die Menschen zur damaligen Zeit wirklich so leicht vom Aberglauben zu überwältigen?Wie darf man sich deren Wahrnehmung vorstellen?

Ein Beispiel: Es war damals im wahrsten Sinne des Wortes eine dunkle Zeit. Nun laufen Sie in der Finsternis und im Herbstnebel durch ein Dorf und glauben an Hexerei – Sie werden jedes Geräusch hören! Und die Leute glaubten an Hexen. Ein Mann hat angegeben: „Er tut das, weil sie ja überall verbrannt werden.“ Der Wahn nährt eben den Wahn. Inzwischen wird auch offen darüber diskutiert, ob eine Stadt wie Kronach offiziell die Ehre der Opfer von damals wiederherstellen soll.

Wie stehen Sie solchen Ideen gegenüber?

Ich sehe es sehr positiv, dass sich eine Erinnerungskultur entwickelt. Ich bin ein ganz großer Befürworter zu zeigen, was damals passiert ist. Man muss das Ausmaß dieses Massenmordes sehen. Und das Thema findet nicht mal mehr in den Lehrplänen statt. Momentan gibt es schon 30 000 Opfer aus 6000 Dörfern in unserer Datenbank.

Ist Hexerei heute noch ein Thema?

In einigen Ländern in Afrika steht die Hexerei sogar noch im Gesetz. Da werden Kinder für Krankheiten verantwortlich gemacht. Da sterben deswegen jedes Jahr Hunderte Menschen. Aber auch wir Europäer müssen aufpassen. Wir verbrennen die Leute heute nicht mehr, doch wir schaffen es mit anderen Methoden, sie mundtot zu machen. Wir graben im Leben anderer, bis wir etwas finden – und dann ist dieser Mensch fertig.

Die Fragen stellte Marco Meißner (Mit freundlicher Genehmigung des FT)

Kai Lehmann ist Direktor der Museen im Zweckverband Kultur des Landkreises Schmalkalden-Meiningen. Der Historiker leitet in dieser Funktion als eines von insgesamt fünf Museen das bekannte Museum Schloss Wilhelmsburg Schmalkalden. Bekannt wurde der Wissenschaftler unter anderem durch die Ausstellung „Luther und die Hexen“ (2011 bis 2013). In weiteren Ausstellungen und Schriften befasste er sich mit diversen sozialhistorischen Themen, so unter anderem auch mit dem Dreißigjährigen Krieg. Der Vortrag findet am 23. September um 19.30 Uhr im evangelischen Gemeindezentrum der Kronachallee statt. Er wird vom örtlichen Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing und vom Verein „1000 Jahre Kronach“ unterstützt. Der Eintritt ist frei.