Der Reformator besuchte Kronach

Am Reformationstag besuchte Martin Luther die Heimatstadt seines guten Freunds Lucas Cranach. Eigentlich sollte der Besuch inkognito verlaufen. Aber dann verkündigt er den Kronichern doch seine neue Lehre - und geigt ihnen dabei ganz schön die Meinung!
„Des gett doch gor nier. Des is a Sünd, a groußa Sünd“ - Berta und Ernestine wollen gerade auf dem Kroniche Markt Ärfel einkaufen, als sie vor der Alten Markthalle Johannes Grau, der einst in Kronach als Pfarrer tätig war, treffen. Ihre anfängliche Freude ändert sich schlagartig, als sie erfahren, dass ihr Pfarra doch tatsächlich seine Walburga geheiratet hat. „Sodom und Gomorra!“
Das Ehepaar Grau (Jürgen und Hedwig Ditsche) ist an diesem Herbsttag anno 1530 nicht allein zu Besuch in Kronach. Dessen berühmtester Sohn, Lucas Cranach (Wolfgang Eckert-Hetzel), erweist seiner alten Heimat einmal wieder die Ehre, nebst einem vornehmen Herrn aus Wittenberg (Hans Götz), der den beiden Frauen merkwürdig bekannt vorkommt. Und gerade dieser noble Herr ergreift vehement Partei für Johannes: „Wer hat den Priestern verboten, den ehelichen Bund einzugehen? Wer sagt, dass eheliche Liebe Sünde ist?“, schmettert er ihnen entgegen. Petrus sei verheiratet gewesen und alle seine Nachfolger im Amt bis ins 11. Jahrhundert - bis Papst Gregor VII. das Zölibat als Kirchenrecht erlassen habe. An keiner Stelle in der Bibel stehe etwas von einem Zölibat. „Sollen die Priester vielleicht lieber im Konkubinat leben?“, brauste er auf. „Des woh scho immer a Sünd. Des is und bleibt a Sünd - und zwor a groußa Sünd!“, lassen sich die Frauen nicht beirren.
Lucas Cranach geleitet seine Gäste - Martin Luther und das Ehepaar Grau - zu Tisch in seinem Elternhaus.
Das Eheverbot der Priester war nur eine Regel der katholischen Kirche, an denen sich Luther gestört hat: Die Allmacht des Papstes mit seiner uneingeschränkten Vorherrschaft, die Finanzierung von Kriegen, das Blühen des Ablasshandels. Gerade diese Praxis, dass man sich mit von der Kirche offiziell zum Kauf angebotenen Ablassbriefen sein Seelenheil erkaufen konnte, war seiner Überzeugung völlig zuwider. Um seine Bedenken der Kirche mitzuteilen, verfasste er 1517 die 95 Thesen, die sich - mit der neu entstandenen christlichen Bewegung, Protestantismus genannt - schnell verbreitete. 1530 hielt sich der Augustinermönch im benachbarten Coburg auf. Von dort korrespondiert er mit Philipp Melanchthon, der in seinem Namen die Anerkennung des Protestantismus auf dem Reichstag zu Augsburg verhandelt. „Wissenschaftlich nachweisbar ist ein Besuch Luthers in Kronach nicht. Aber wenn er in Coburg weilte, wäre es durchaus denkbar, dass er sich von seinem guten Freud Lucas Cranach dessen Heimatstadt zeigen lässt“, meinte Silke Wolf-Mertensmeyer, die am Reformationstag mit Mitgliedern der Pottu-Gruppe einen solchen Besuch - nach einer Vorlage von Hans Götz - als Erlebnisführung nachstellte. Hatten bereits am Vormittag an die 40 Personen die Spielszenen an verschiedenen Orten in der Oberen Stadt verfolgt, waren es am Nachmittag noch einmal rund doppelt so viele.
(von links) Lucas Cranach (Wolfgang Eckert-Hetzel) hieß Martin Luther (Hans Götz) sowie Johannes Grau und seine Ehefrau Walburga (Jürgen und Hedwig Ditsche) in seiner Heimatstadt willkommen.
„Auf meinem Weg von Coburg nach Kronach bin ich an etlichen protestantischen Gemeinden vorbeigekommen“, freute sich Luther. In der Tat gewann, so Wolf-Mertensmeyer, die neue Lehre auch in unserer Region immer mehr Anhänger. „Kronach sei heute wie damals von vielen evangelischen Pfarreien eingekreist gewesen. Durch den Abgang Graus sei es zwar auch in Kronach zu kurzfristigen Irritationen gekommen. In der Folgezeit aber sei die Stadt dem alten Glauben standhaft treugeblieben. Grau hatte sich für die Ideen der Reformation begeistert und 1522 eine Kronacher Bürgerstochter geheiratet. Da er damit gegen den Zölibat verstoßen hatte, wurde er aus seinem Amt entlassen und flüchtete nach Wittenberg, wo er sich an der dortigen Universität immatrikulierte. Bis 1527 bezog er noch Pfründe von Kronach. Im April 1524 berief ihn Kurfürst Johann von Sachsen an die Stadtkirche Weimar. Grau wurde so zum ersten evangelischen Pfarrer und vier Jahre später der erste Superintendent in Weimar.
Gegen das Glockengeläut der katholischen Kirche verkündet Martin Luther (Hans Götz) die neue Lehre
Er wie auch seine Ehefrau und der Reformator wurden in Kronach natürlich auch im Geburtshaus von Lucas Cranach empfangen, das später dem neuen Rathaus weichen musste. Hier ist die Aufregung bei der inzwischen vom Markt zurückgekehrten Berta und Luitgard groß. Hoher Besuch hat sich angekündigt, darunter ein großer Künstler, für die es ein wohlschmeckendes Mahl anzurichten gilt. „Ein großer Künstler! Wer mag das wohl sein?“, sinnieren sie. Der Cesaro, der Bannert und der Böhm könnten es nicht sein, da diese ins Scharfe Eck gegangen seien und sicherlich schon einen Brummschädel vom vielen Schmäuß hätten. Den hohen Besuch erkennen sie nicht. Doch das Mahl scheint den Gästen zu munden. „Warum rülpset und pfurzet ihr nicht, wenn es euch geschmeckt hat“, fordert Martin Luther seine Tischkameraden auf.
Derart gestärkt an Leib und Seele, kam das Quartett nach weiteren Stationen in der Oberen Stadt schließlich auf dem Melchior-Otto-Platz bei gewaltigem Glockengeläut der Stadtpfarrkirche an. Es sollte ihre letzte Station in Kronach werden. „Gegen die katholische Glocke kommst du nicht an“, meinte Cranach zu seinem Freund. Doch Martin Luther wäre nicht Martin Luther, wenn er sich davon hätte abhalten lassen. „Das Glockengeläut ist es nicht, was zu Gott führt - und auch nicht die Ablassbriefe“, wetterte er. Mit ihrem Geld finanzierten die Leute, dass Papst Leo seinen Dom in Rom bauen könne, dass der Vatikan aus politischen Gründen Kriege führe und dass die Pfarrkirche in Kronach noch größer werde und die Glocken noch lauter läuten könnten. „Damit werdet ihr dem Fegefeuer nicht entgehen“, geriet er so richtig in Rage: „Hier stehe ich und kann nicht anders!“ In Rage gerieten auch die aufgebrachten Frauen, die ihn schließlich mit Salatblättern bewarfen und aus der Stadt jagten - unter großem Gelächter der Zuschauer, die sich für die anschauliche lehrreich-spannende Geschichtsstunde mit großem Applaus bedankten. Musikalisch stimmungsvoll umrahmt wurde die Erlebnisführung von der Gruppe „Vogelfrei“.
hs