Luthertum in Kronach (Mehrteilige Informationsreihe)

Die konfessionelle Situation in Kronach während der Reformationszeit (Teil 1)
Jubiläen geben immer Anregung, sich mit dem zu feiernden Anlass näher zu beschäftigen.Die 500. Wiederkehr des Thesenanschlages Martin Luthers im Jahre 2017 ist Grund genug, sich mit der Situation der katholischen Kirche im Kronacher Land während der Reformationszeit näher zu beschäftigen. Grundlage bildet die Chronik des Georg Fehn (1867 - 1953), der mit seinen Aufzeichnungen zur Geschichte Kronachs uns ein wertvolles Nachschlagewerk in sechs Bänden hinterlassen hat. Seine Aufzeichnungen zur damaligen konfessionellen Lage, liefern nicht nur ein regionales Stimmungsbild aus der Sicht eines Heimatchronisten sondern auch eine institutionelle Analyse der Kirchensituation im Hochstift Bamberg.
Georg Fehn hat im Band 3 seiner Chronikreihe in drei Abschnitten einiges Quellenmaterial aus dem zeitlichen Umfeld der Reformation ausgewertet. Er beschreibt zunächst die religiösen und kirchlichen Zustände bis zur Glaubensspaltung, dann befasst er sich mit der Glaubensspaltung selbst und schließlich berichtet er über die Neugestaltung der Kirche im 16. Jahrhundert auch mit Fokus auf das hochstiftliche Kronach.
Die Kirchenstruktur und liturgischen Gewohnheiten in der damaligen Zeit werden im ersten Abschnitt ausführlich beschrieben. Die Menschen waren stark eingebunden in kirchliche Pflichten: 100 Sonn- und Feiertage nebst 160 Fast- und Abstinenztagen führt Georg Fehn an, die nach seiner Meinung „eine maßlose Übertreibung“ waren. Während den Gläubigen an diesen Tagen nicht einmal der Genuss von Milchspeisen und anderen Produkten tierischer Herkunft erlaubt war, konnte sich Teile des Klerus aufgrund der zahlreichen Stiftungen des Adels einen überschwänglichen Lebensgenuss leisten. Der kam wiederum den jungen Adeligen zugute, die von ihren Vätern auf die mit guten Pfründen ausgestatteten Domherrenstellen gesetzt wurden. Die in der Regel nur mit den niederen Weihen ausgestatteten „Bürschlein“ hatten kein Interesse an den geistlichen Verpflichtungen. Sie übertrugen diese meist an gering bezahlten geweihten Vertretern „und züchteten dadurch ein zahlreiches geistliches Proletariat“. Für Kronach nennt Georg Fehn in diesem Zusammenhang vier „Meßpfaffen“, die 1514 dem Stadtpfarrer zugeordnet waren, der wiederum seinem Domherrn, der als Oberpfarrer fungierte, unterstand. Dieser Domherr war der Empfänger der Erträgnisse der Pfarrei, der nur den kleinsten Teil auf die seelsorgenden Pfarrverweser übertrug.
Neben den strukturellen Missständen führt er auch die Verwahrlosung und den Verfall der sittlichen Werte in der postmittelalterlichen Gesellschaft an. Zum Nachweis zitiert er aus Kronacher Gerichtsakten der Jahre 1492 bis 1498, und demonstriert an den darin dokumentierten Zwistigkeiten zwischen den Bürgern, die Verrohung der Umgangsformen, vor allem in ihren verbalisierten Formen. Auch Lucas Cranach d. Ä. war während seiner Kronacher Zeit (1472 bis ca. 1502) in solche nachbarschaftlichen Streitigkeiten verwickelt, die schließlich auch vor Gericht verhandelt wurden. Die im Zuge der Auseinandersetzung gebrauchten verbalen Kraftausdrücke und abfälligen sprachlichen Äußerungen sind in den erhaltenen Gerichtsakten detailliert belegt.
Das Volk, so schreibt Georg Fehn, war „der übermäßigen Bevormundung und der auferlegten schweren Lasten überdrüssig und vernahm gerne die neue Lehre von der Freiheit des Christenmenschen.“ Nach Fehns Meinung breitete sich die protestantische Lehre auch deshalb so schnell aus, weil die lutherischen Lieder „auch ohne Gesangbücher leicht zu lernen“ und der Inhalt von Luthers Schriften „von Mund zu Mund“ ging. Der Ablasshandel, der für Martin Luther der Auslöser für seine 95 Thesen war, wird bei Georg Fehn nur nachrichtlich behandelt und von ihm als Vorgang bezeichnet, der nur einen „Teil des Zündstoffes, in welchen der verhängnisvolle Funke flog“ ausmachte. Für ihn waren es vor allem die Missstände im katholischen Klerus, die die Glaubwürdigkeit ihrer Wortführer einschließlich der Kirche als lebensdominierende Institution untergruben. Damit war ein fruchtbarer Nährboden für die Verbreitung der neuen Lehre geschaffen.
Bereits im Jahre 1522 ging die Saat in Person des Kronacher Pfarrers Dr. Hanns Grau auf. Der hatte sich nach einer Anzeige des Bamberger Domkapitels unter Missachtung katholischer Dogmen „ mit eines Burgers Dochter gen Wittenberg gethan, daselbst mit ihr Hochzeit gehabt.“ Dies soll sogar unter Mitwirkung von Lucas Cranach d. Ä. geschehen sein, der sich bei Martin Luther für den Kronacher Pfarrer eingesetzt haben soll. Martin Luther schrieb dann auch an den Hofmeister Johann Schwarzenberg in Bamberg: „Der Pfarrer von Cronach hat ein Eheweib genommen. Wiewohl das nu fast ärgerlich, weil es aber christlich ist, und ihm vonnöten gewesen, … daß sie doch auch nicht dawider sich setzen, und den armen Mann zu vertreiben oder verderben fürnehme.“ Die Fürsprache Martin Luthers führte dann auch dazu, dass Pfarrer Dr. Hanns Grau zwar seine Pfarrstelle, aber nicht seine Güter und seinen materiellen Besitz in Kronach verlor. Er blieb sogar im Genusse des Apostelbenifiziums, das er erst 1527 verlor, als er seiner Steuerpflicht nicht mehr nachkam. Dem Pfarrherrn waren, so schreibt Georg Fehn, “ im Religionswechsel etliche Bürger nachgefolgt“.
Am 30.08.1524 berief Bischof Weygand einen Landtag nach Bamberg ein, um das „Umsichgreifen der Neuerung zu verhindern“. Nach der unklaren politischen Lage, wie nun mit der neuen Lehre umzugehen sei, wurde die Thematik aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen zwischen Bischof, Ritterstand und Städten aber zurückgestellt. Eine vom Bischof beabsichtigte Bestrafung der „Ungehorsamen“ - gemeint waren die Anhänger der neuen Lehre - kam gegen den Widerstand des Domstiftes nicht zustande. In den Folgejahren zogen die grausamen Auswirkungen des Bauernkrieges (1524 – 1526), der, was man nicht übersehen darf, ja ursächlich auch einen reformatorischen Hintergrund hatte, die politische Aufmerksamkeit auf sich.
Nach den Beschreibungen von Georg Fehn breitete sich die neue Lehre in der Hauptmannschaft Kronach in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stetig aus. Insbesondere die reichsunmittelbare Ritterschaft, der niedere Adel, wandte sich auch im Hochstift Bamberg relativ schnell der neuen Lehre zu. Immer wieder kommt es dabei wegen der personellen Besetzung von Pfarrstellen zu Streitigkeiten, die entweder nicht den Vorstellungen der Lehensherren oder denen der Patronatsinhaber entsprach. In Weißenbrunn zum Beispiel beanspruchten die v. Redwitz das Patronat, ohne es beweisen zu können, während Urkunden es dem Bamberger Bischof nachweislich zusprachen. In Mitwitz hatte zwar der Fürstbischof die hohe Gerichtsbarkeit, das Kirchenpatronat übten aber die Adeligen von Rosenau aus, nach deren Abgang die v. Würtzburg. In Neukenroth und in Stockheim wurden die Gemeindemitglieder durch ihre adeligen Herrschaften dem Protestantismus zugeführt. In Friesen, einer Cronacher Filialkirche, gingen „feindliche Bestrebungen“ von der Familie von Reitzenstein aus. In Seibelsdorf setzten 1530 die Markgrafen von Brandenburg-Culmbach den Pfarrer Andreas Kerner in Haft, weil er die Kirchenordnung von Bayreuth, das sich zum Protestantismus bekannte, nicht einführen wollte.
Vor dem Augsburger Religionsfrieden(1555) wurde also bereits in kleinräumiger Begrenzung die Praxis angewandt, die nach 1555 mit dem Beschluss des Reichstages, "cuius regio, eius religio", im gesamten deutschen Reich gelten sollte. Georg Fehn kommt in seiner Betrachtung der konfessionellen Zustände in der Hauptmannschaft Kronach zum Ergebnis, dass „Cronach vollständig von Orten der Neugläubigen umschlossen“ ist.
Das Hochstift Bamberg präsentierte sich zum Ende des 16. Jahrhunderts wie ein protestantisch-katholischer Flickenteppich, ein Zustand, der bis in die Gegenwart weitgehend stabil geblieben ist.
Hans Götz, 29.01.2017