"Ich würde lieber sterben als von diesem Manne getrennt zu sein." Das sind die Worte, mit denen Philip Melanchthon seine Beziehung zu Martin Luther beschrieb. Eine innige persönliche Freundschaft verband diese beiden Männer, die sich auf einer beiderseitigen Hochachtung gegenüber der exorbitanten Bildung des anderen begründete. „Dieser kleine Grieche übertrifft mich sogar in der Theologie", so urteilte Martin Luther mit spaßigem Unterton über seinen Freund und Kollegen. Denn Philipp Melanchthon war körperlich klein und zierlich von Gestalt, aber ein großartiger Kenner der griechischen Sprache, was in der Zeit als Ausweis einer gehobenen Bildung galt. Dieser Qualifikation verdankte er auch seinen Ruf an die Wittenberger Universität, wo er im August 1518 auf den Lehrstuhl für Griechische Sprache berufen wurde. Erst sechs Monate vorher kam Melanchthon mit dem Gedankengut von Martin Luther in Berührung, als er sich an der Heidelberger Disputation über die 95 Thesen Luthers beteiligte. Sie erweckten ein so nachhaltiges Interesse bei Melanchthon, dass er sich gegenüber den reformatorischen Ideen fortan aufgeschlossen zeigte.

In Wittenberg angekommen, beeindruckte er in der Schlosskirche mit seiner Antrittsrede (Titel: „De corrigendis adolescentiae studiis“) die versammelten Honoratioren und Martin Luther dermaßen, dass dieser mit großen Respekt an seinen Freund Georg Spalatin schrieb, der als Vertrauter des Kurfürsten Friedrich des Weisen Einfluss auf díe Berufungen der Universität Wittenberg nehmen konnte: „Philippus hat den vierten Tag darauf, als er gekommen, eine sehr gelehrte und zierliche Rede gehalten, mit solchem Beifall und Bewunderung von Allen, daß Du nicht weiter darauf denken darfst, ihn uns anzupreisen.“

Bereits ein Jahr später, Im Jahre 1519, begleitete Melanchthon den Reformator zur Leipziger Disputation, zu einem Streitgespräch mit Vertretern der katholischen Kirche. Hier konnte Melanchthon seine theologischen Kenntnisse wirksam einbringen, indem er Martin Luther mit passenden Bibelzitaten versorgte, die Zweifel am Alleinanspruch des Papstes überzeugend begründeten. Als Martin Luther 1522 mit seiner Bibelübersetzung von der Wartburg nach Wittenberg zurückkam, übernahm er die sprachliche Korrektur. Vorher hatte er bereits Martin Luther im Verständnis der griechischen Sprache eingeführt und Luther ihn zum Erwerb des Grads eines Baccalaureaus biblicus an der Universität Witteberg ermuntert: "Ich habe von ihm das Evangelium gelernt“, was Melanchthon in seinem Testament rückblickend anmerkte. Zudem wird ihm zugeschrieben, Martin Luther zur Übersetzung der Bibel in ein für das Volk verständliches Deutsch motiviert zu haben. Auch bei den nachfolgenden Bibelausgaben bis hin zur Gesamtausgabe im Jahre 1534 war Philipp Melanchthon wesentlich beteiligt.

Loci communes Dogmatik

Melanchthon war es auch, der eine Systematik in die reformatorische Lehre Martin Luthers brachte. 1521 fasste er die grundlegenden theologischen Grundbegriffe in der „Loci communes“ zusammen, die als erste Dogmatik der evangelischen Kirche gilt. Ansonsten stand er Martin Luther stets als sachkundiger Berater bei den vielen Streitgesprächen zur Verfügung oder vertrat ihn sogar. Das war bei den Reichstagen zu Speyer (1529) und Augsburg (1530) der Fall. An beiden konnte Martin Luther nicht teilnehmen, da für ihn immer noch die 1521 verkündete Reichsacht galt. Während des Augsburger Reichstages hielt er sich in Coburg auf, das damals zum Kurfürstentum Sachsen gehörte, und verfolgte von dort die Verhandlungen. Karl V ließ sich in Augsburg die Standpunkte der Reformatoren darlegen. Die hatte Melanchthon in 28 Artikeln, der so genannten „Confessio Augustana“ zusammengefasst. Wenngleich die reichsrechtliche Anerkennung des Augsburger Bekenntnisses vom Kaiser ausblieb, so beförderte es doch, im historischen Abstand betrachtet, maßgelblich die Verbreitung und Akzeptanz des Protestantismus in Deutschland. Martin Luther zeigte sich in einer Mitteilung an seinem Landesherrn Johann von Sachsen mit seinem Verhandlungsführer sehr zufrieden: "Ich habe Magister Philipps Confessio durchgelesen, sie gefällt mit recht gut. Ich weiß nichts, was daran geändert werden sollte."

Was war nun so brillant und beeindruckend an Philipp Melanchthon, dass er ein solch großes Vertrauen durch Martin Luther verdiente? Seine körperliche Erscheinung war bescheiden. Gerade mal 1,50 m groß, von schmaler Gestalt und mit einem Sprachfehler behaftet, hinterließ er rein äußerlich keinen attraktiven Eindruck bei seinen Zeitgenossen. Sein Geist dagegen war für die damalige Zeit hochgradig universell. Der lateinischen und griechischen Sprache schon als Schüler mächtig, immatrikulierte er sich bereits als 12-jähriger 1509 an der Universität Heidelberg und erwarb dort innerhalb von nur zwei Jahren seinen ersten akademischen Grad (baccalaureus artium). 1512 wechselte er an die Universität Tübingen um dort Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie zu studieren. Er machte sich mit den Schriften von Erasmus von Rotterdam , einem europaweit bekannten Vertreter des Humanismus, vertraut, las antike Autoren sowie humanistische Dichter und bekam durch die Schriften von Rudolf Agricola zur Logik ein neues Verständnis der Dialektik. Nebenbei unterrichtete er als Hauslehrer zwei Grafensöhne, publizierte Schriften zur griechischen Grammatik und zur Geschichte der antiken Komödie. Als er 1518 an den Lehrstuhl in Wittenberg berufen wurde, war er gerade 21 Jahre alt. Seine Lehrbücher zur Rhetorik, Ethik, Physik, Geschichte, Geographie und Astrologie prägten den Unterrichtsstoff der Gelehrtenschulen des 16. bis 18. Jahrhunderts. Seine Reformvorschläge zum Schul- und Universitätswesen trugen ihm von seinen Zeitgenossen den Ehrentitel eines „Praeceptor Germaniae“ (Lehrer Deutschlands) ein.

Confessio

Nach dem Augsburger Reichstag von 1530 war Philipp Melanchthon immer wieder gemeinsam mit Martin Luther gefordert: nach außen in Auseinandersetzungen mit den Katholiken (Leipziger Artikel) und nach innen etwa mit der reformatorischen Täuferbewegung. Auf politischer Ebene verhärtete sich die Konfrontation durch die Gründung des Schmalkaldischen Bundes (1531), einem militärischen Zusammenschluss der evangelischen Landesfürsten und Reichsstädte. Dies mündete unausweichlich in einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Kaiser, dem so genannten Schmalkaldischen Krieg (1546/47). Nach dem Tod Martin Luthers (1546) wurde Melanchthon zum einflussreichen Wortführer der reformatorischen Bewegung. Seine kompromissbereite Haltung gegenüber dem Augsburger Interim (1548) brachte ihm den Vorwurf des Verrats an der wahren Lehre Luthers ein. Als dann im Jahre 1555 auf dem Augsburger Reichstag die Reformatoren ihre reichsrechtliche Anerkennung erhielten, war es Melanchthon, der den „Frieden“ kritisch beurteilte: "Alles freut sich, aber wie lange wir uns wirklich freuen werden, weiß niemand." Letztendlich fand die Reformbewegung mit dem Religionsfrieden ihren vorläufigen Abschluss und Melanchthon, der ein Drittel seines Lebens auf Reichstagen, bei Disputationen, Kirchenvisitationen und Einweihungen von Schulen zugebracht hatte, konnte sich nun ganz seiner geliebten Lehrtätigkeit an der Universität Wittenberg widmen. 1560 starb er im Alter von 63 Jahren.

Dies sei noch angemerkt: Philipp Melanchthon selbst gilt aufgrund seiner humanistisch geprägten Geisteshaltung, die in den vielen Religionsgesprächen und –auseinandersetzungen stets auf ein versöhnliches Miteinander abzielten, auch als Vater der ökumenischen Bewegung - die bis heute andauert.

Hans Götz, 10.12.2016